> Hast du genügend Zeit? // Wie nutzt du freie Zeit?
Zeit ist ein Phänomen, das mich permanent beschäftigt.
Denn ich begreife Zeit nicht als ein Ding, das man „haben“ kann,
sondern als mein Leben, das ich Zeit meines Lebens
mal heller mal dunkler erlebe.
Andererseits verfolgt mich immer wieder das Gefühl von Zeitdruck oder –not.
Also arbeite ich daran, eine Selbstdisziplin zu entwickeln und zu leben,
welche mir die Bewegung zwischen Spannung und Entspannung erlaubt
und die Extreme des Gehetztseins und der Langeweile ausspart.
Dabei sehe ich in zwei Momenten die Chance, mir „Zeit zu erschließen“:
in der Auseinandersetzung mit meinen Lebensumständen
und dem Bemühen, sie im Rahmen des momentan Möglichen
aktiv zu gestalten – indem ich Veränderungen in der Außenwelt
vornehme oder meine Einstellung den Umständen anpasse.
Das beginnt mit Kleinigkeiten: Fernsehkonsum gen Null reduzieren,
Konzentration auf die für mich wesentlichen Informationen,
den Einsatz des Mobiltelefons beschränken,
statt mich selbst und meine Umwelt einer zu flexiblen
also ungewissen Terminierung auszusetzen.
Die Frage des „Broterwerbs“ ist in diesem Zusammenhang
für mich von besonderer Bedeutung:
Solange ich der Notwendigkeit unterworfen bin, Geld zu verdienen
(in früher Zeit oder an einem anderen Ort: pflügen, säen, ernten...),
bin ich dankbar, dies zu können: körperlich, geistig und aufgrund
von Menschen, die mir und meiner Leistung vertrauen.
Gleichzeitig finde ich mich mit keiner Tätigkeit auf die Dauer ab,
die zwar bequem und profitabel den Magen füllt,
jedoch meine Wertvorstellungen, mein Wohlbefinden und
damit meinen Einsatzwillen untergräbt.
In diesem Sinne unterscheide ich auch nicht zwischen
Freizeit und Arbeitszeit, da beide Bereiche alle Potentiale
positiven und negativen Zeit-Lebens-Empfindens in sich bergen.
Meine Emotionen prägen also mein „Zeitgefühl“:
Phasen der beruflichen oder privaten Beanspruchung
können ebenso befriedigend wie frustrierend sein,
also zeitfüllend oder zeitraubend wirken.
Als „freie Zeit“ empfinde ich Phasen der Ausgewogenheit
zwischen inneren Bedürfnissen und äußeren Anforderungen,
zwischen beruflicher/künstlerischer und privater Sphäre,
die sich in vielen Bereichen überschneiden.
„Freie Zeit“ empfinde ich ebenso in Momenten der Zeitlosigkeit:
wenn Worte von alleine fließen,
wenn Gedanken schweigen,
wenn mich Lachen schüttelt.
> Wie wirkt freie Zeit auf deine künstlerische Arbeit?
> // Lev Manovich konstatiert in einem neueren Text,
> dass im Zentrum der Kunst seit Ende der 1960er das
> Konzept und nicht mehr das Medium oder die Technik
> steht (und er rechnet die Software Art daher dem Kunsthandwerk zu).
> D.h. Kunst wäre, so verstanden, im reinsten Sinne der
> vita contemplativa zuzuordnen und demzufolge ein (letzter)
> Gegenentwurf zum aktiven Totalspektakel des Globalkapitalismus.
> Wie siehst du das?
> // Nur wenige Künstler koennen von ihrer Arbeit, trotz angeblich
> höchster Wertschätzung, gut leben. Schuldet die Gesellschaft dem
> Kuenstler nicht wenigstens bezahlte Ruheräume, bezahlten Urlaub?
„Freie Zeit“ als auch „unfreie Zeit“
sind für mich notwendige Grundlagen für meine künstlerische Arbeit.
Die Begegnung mit schönen und hässlichen Seiten des Lebens
liefert mir Stoffe und Inhalte.
Die innere Spannung, mich künstlerisch ausdrücken zu müssen,
lässt mich Freiräume schaffen, sie zu realisieren.
Da meine künstlerische Tätigkeit Teil meiner selbst, Selbstausdruck ist,
kann ich sie für meine Person der „vita contemplativa“ zuordnen,
die jedoch Kontemplation durch Entspannung und Anstrengung bedeutet.
Meine Motivationen sind das Schaffen selbst und
die Kommunikation mit dem Publikum durch das Werk.
Solange ich daraus Befriedigung generiere,
werde ich unabhängig vom wirtschaftlichen Erfolg künstlerisch wirken.
Die selbstbestimmte Wahl von Inhalt und Form
bei gleichzeitiger Lösung von der Verfolgung primär materieller Zwecke
lässt mich Kunst als meinen größten persönlichen Freiraum erleben.
Dabei empfinde ich erklärte Wertschätzung
als auch wirtschaftlichen Gewinn gleichermaßen
als Anerkennung meiner künstlerischen Arbeit.
Da beides – Schaffen und Kommunikation – Selbstzweck ist,
sehe ich die Gesellschaft nicht in irgendeiner materiellen Schuld
mir als Künstler gegenüber.
Im Gegenteil, ich schulde mein künstlerisches Tun mir selbst.